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Haben wir wirklich alle über unsere Verhältnisse gelebt?

gelöscht_84526 / 65 Antworten / Flachansicht Nickles

Die Gewerkschafterin und frühere Betriebsrätin bei Siemens, Karin Hujer, hat sich in einem Brief an den Bundespräsidenten darüber beklagt, dass Horst Köhler in seiner Berliner Rede wie selbstverständlich davon ausgeht, dass wir alle „über unsere Verhältnisse gelebt“ hätten. Sie spricht über eine Kränkung durch den Bundespräsidenten, die jene Menschen, die arbeitslos sind oder wenig verdienen, jedenfalls seit Jahren wirtschaftliche Sorgen haben, noch mehr empfinden müssen als sie selbst.

Den Brief kann man hier nachlesen: Klick.

Meine Frage: Wer von euch hier bei Nickles kann von sich behaupten, dass er über seine Verhältnisse gelebt hat? Ich kann es zumindest nicht. Deshalb kann ich die Thesen des Herrn Köhler ebenfalls nicht gutheißen. Wie kann der Mann so etwas behaupten?

Gruß
K.-H.

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Ja so wie hier: ... Prosseco
shrek3 Max Payne „OK, ich versuche mal, meinen Gedankengang darzulegen. Jüki kritisierte, dass...“
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Zu all dem gibt es so manches zu sagen und wenn man den Dingen einigermaßen auf den Grund gehen will, steht man schnell vor dem Problem, entweder zu wenig Detailkenntnisse über die Mechanismen zu haben oder betriebsblind zu sein, weil der Geist zu sehr "geschult" wurde.

Man begegnet nur sehr selten einem Menschen, der sich einerseits in der Materie richtig gut auskennt, gleichzeitig aber innerlich unabhängig geblieben ist - sich nicht gleichzeitig auch hat einwickeln lassen.

Und genauso wenig oft begegnet man einem Menschen, der sich zwar in der Materie nicht besonders auskennt, aber frei von dumpfen Vorurteilen ist.

Es greift auch meiner Meinung nach zu kurz, lediglich die Gier dafür verantwortlich zu machen und diese mit der überall im Volk anzutreffenden Gier gleichzusetzen.

In meinen Augen kommt bei den Spitzenkräften mindestens noch ein wesentlicher Faktor hinzu, der sie im besonderen Maße unbelehrbar macht:
Die Tatsache, wie sie mit Beginn ihrer Kindheit darauf abgerichtet wurden, den Fokus all ihres Seins nur noch auf den "Ersten Platz" in der Gesellschaft zu legen, dem sich alles andere unterzuordnen habe.

Alles andere zählt nicht wirklich und interessiert allenfalls nur dann, wenn das dem persönlichen Erfolg dient.

Byzantinische Attitüden (z.B., wenn ein pensionierter ehemaliger Manager vor Gericht zieht, weil er [obwohl mehr als wohlhabend genug] nicht bereit ist, hinzunehmen, dass sein Schofför nicht mehr von der schwer ins Trudeln geratenen Firma bezahlt wird - das scheinbar völlige Fehlen jeglichen "Ehrgefühls", wenn er trotz schwerer Verfehlungen seinen Rücktritt maximal nur anbietet (weil er bei Eigenkündigung keine Abfindungen bekommen würde), u.v.a. - das sind geistige Deformierungen, die man nicht so einfach mal so eben bekommt, sondern meist Ergebnisse einer langen Fehlentwicklung sind.

Für mich sind weite Teile dieser geistigen Elite überzüchtete Monstren, die nur darauf abgerichtet wurden, ihren ganzen Daseinszweck darauf auszurichten, besser als andere zu sein, in der Gesellschaft möglichst immer Erster zu werden.

So züchtet man Egoisten, deren einziger Daseinszweck nur das möglichst gute Abschneiden im Vergleich zu den anderen Elitemitgliedern ist (der Vergleich mit anderen, um den Ehrgeiz zum Erfolg auf die Spitze zu treiben, gehört zum täglichen Einmaleins der Eliteschulen - selbst soziale Aktivitäten werden dort in einer Leistungstabelle ausgehängt).

Einerseits sind diese Menschen bedauerliche Opfer und verkrüppelt worden - zuerst durch ihre Eltern und später zusätzlich durch Lehrer an den Eliteschulen, die von diesen Eltern bezahlt wurden.
Eine Chance, diesem Gift zu entrinnen, hatten sie von Anfang nicht.

Täter werden sie, wenn sie in diesem deformierten Zustand auf die Menschheit losgelassen werden.

Wir als Gesellschaft haben es leider versäumt, rechtzeitig Einfluss auf diese Eliteschulen zu nehmen.
Und wie es aussieht, wird sich daran nichts ändern - denn ich höre niemanden davon reden, den Hebel auch dort anzusetzen.

Doch sollten wir auch nicht so tun, als ob wir so viel besser wären als diese Manager.
Ich kenne nicht wenige in meinem Umfeld, die sich in der Hoffnung auf reichlich Gewinne Aktien zugelegt haben.

Und war es nicht vor allem das Volk, das sich von der Volksaktie Telekom so etwas wie Reichtum versprochen hatte?
Wem stand nicht das Dollarzeichen in den Augen, als die T-Aktie ihren Höchststand erreicht hatte?
Auch ich widerstand nur knapp der Versuchung, damals EM-TV-Aktien zu kaufen...

Gruß
Shrek3

Fatal ist mir um das Lumpenpack, das, um Herzen zu rühren, den Patriotismus trägt zur Schau, mit all seinen Geschwüren. Heinrich Heine
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