Es gibt in Europa nichts vergleichbares zu den genannten afrikanischen Problemen (die keine waren, solange sich die Europäer rausgehalten haben). Daher ist die von Dir genannte Definition von "ethnisch" eine Definition aus europäischer Tradition, die für andere Ecken der Welt m.E. ein bißchen zu restriktiv ist.
Europäer fühlen sich als Franzosen, Spanier, Deutsche etc. Afrikaner (die sind nun mal das klassische Beispiel) definieren sich nicht über Staaten, sondern über ihre Stammeszugehörigkeit.
Man stelle sich vor, Ende des letzten Jahrhunderts hätten sich afrikanische Politiker an den Verhandlungstisch gesetzt und Europa unter sich aufgeteilt. Eines der Filetstücke wurde zu Zentraleuropa zusammengefaßt: es reichte von Stockholm im Norden bis Sizilien im Süden, von Paris im Westen bis Warschau im Osten. Die Führung in diesem neuen Land übernahm sofort der größte Stamm, die Deutschen. Sie besetzten schnell alle Schlüsselpositionen in Armee und Verwaltung. Um die Kleineren zu beschwichtigen, wurden ein Däne und ein Luxemburger zu Vizepräsidenten ernannt. Da sich Schweden, Holländer und Belgier, Deutsche, Franzosen, Italiener und Polen kaum untereinander verständigen konnten, wurde Englisch zur Amtssprache erklärt. Aber in Berlin, in der Hauptstadt, sprach man untereinander Deutsch, vor allem am Rande wichtiger Konferenzen. Das schuf Mißtrauen.
So absurd dieses Szenario erscheinen mag, so ähnlich wurde Afrika auf der Berliner Konferenz 1884 aufgeteilt. Zentraleuropa entspricht der Größenordnung des heutigen Kongo, dem früheren Zaire. Die Grenzen wurden weitgehend mit dem Lineal gezogen, da wurde zusammengefügt, was nicht zusammengehörte, getrennt, was zusammengewachsen war. Es konnte nicht funktionieren. Die Menschen fanden sich in einer neuen "Nation" wieder, aber sie dachten und träumten weiter in ihrer Muttersprache, in Kenia beispielsweise in Kikuju, Luo oder Kalenjin. Wenn sie zu einer Behörde mußten, gingen sie nicht zum zuständigen Beamten, sondern suchten jemanden aus ihrem Stamm, der ihre Sprache, ihr Problem verstand. Der Tribalismus, das Stammesdenken, galt schnell als Ursache für Korruption und Vetternwirtschaft, für Rivalitäten und Kriege.
Der Tribalismus war für die verschiedenen Ethnien zunächst das legitime Mittel, an Macht, Einfluß und Wohlstand teilzunehmen. In politischen Verteilkampf agieren Stämme wie Kantone, wie Regionalparlamente oder Interessenverbände. In Deutschland werden "Stammeskriege" verfassungsgemäß mit Geld und Postenproporz über den Bundesrat ausgetragen.
Afrika, nach Asien und Amerika der drittgrößter Kontinent, umfaßt 54 Staaten, erstreckt sich über 7 Zeit- und mehrere Klimazonen. Kein anderer Erdteil verfügt über eine derartige Vielfalt: geschätzt 2.000 Völker oder Stämme bewohnen Afrika, von denen die meisten eine eigene Sprache, Kultur und Tradition haben, deren Riten, Bräuche und Religionen sich unterscheiden.
Nun sind wir zwar ein gutes Stück vom ursprünglichen Thema, dem Irak, abgekommen, aber die Problematik ist im Großen und Ganzen dieselbe.