Ähnlich dem unglaublichen Formationenflug der Schwalben fliegen die Gedanken durch die Schluchten und Felsen des Gehirns - und fangen doch nur Mücken.
Gruß
Karl
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Hallo, die 9. Andern und Jemand Geschichte:
Ein nicht sehr glaubhafter Bericht über Andern
Von einem Bekannten, der nicht genannt sein will, hörte ich, daß Andern neuerdings behauptet, er sei ein Meister der Zurückhaltung, ja, er verberge sogar seine eigenen Gedanken vor sich selbst. Auf die Frage nach dem Grund dieses außergewöhnlichen Vorgangs hätte er geantwortet: „Man soll niemanden trauen! Wenn ich mich nun an mich selbst verrate, - das könnte ich mir nie verzeihen.“ Nach einer kurzen Pause des Nachdenkens soll er dann gesagt haben: „Das einzig Wahre ist, kein Wort mehr zu sprechen. Aber noch ist dies für mich eine Art Traum, ich schwebe eben nicht über den Dingen, sondern gehe, quasi zu Fuß, mitten durch den Alltag.“
In diesem Augenblick habe Andern ihm, also meinem Bekannten, den Rücken zugekehrt. Dieser sei zwar ein wenig gekränkt gewesen, habe aber weiter keine Zeit dazu gehabt, weil Andern einfach weiter gesprochen hätte, doch irgendwie gepreßt und undeutlich, so daß er für den nun folgenden Rest der Begebenheit, was den Wahrheitsgehalt anbelangt, keine Garantie abgeben könne. Es sei eben nur ein, aus dem Gedächnis wiedergegebener Eindruck. Übrigens habe Andern ihm noch nicht einmal einen Stuhl angeboten.
„Das Tragische ist das Denken,“ hätte Andern gesagt, „es hört niemals auf, es ist wie eine Bewegung ohne Ende... Ich komme mir vor wie eine Denkmaschine. Vielleicht ist es ja auch nur eine dumme, überkommene Angewohnheit, ich meine jetzt die Zurückhaltung, daß eben nichts aus der Familie nach außen dringen darf. Nur was ich sehe, kann ich sagen... ein Blick aus dem Fenster, da, vierzig, fünfzig Tauben auf dem gegenüberliegenden Dachgiebel, eine flatternde Unruhe, aufgereiht und fertig zum gemeinsamen Start, wenn, zum Beispiel wie jetzt, ein Rettungshubschrauber über sie hinwegdonnert.“
Nun, so berichtet mein Bekannter, sei alles sehr schnell gegangen, zu schnell, wie in einem Traum. Denn Andern sei zwar noch zu hören gewesen, aber nicht mehr zu sehen. „Dieses Dach interessiert mich,“ habe er ihn sagen hören. „Ich werde bäuchlings hinauf- und hinunterkriechen und dieses längliche Moos wachsen hören, das wie ungepflegte Nasenhaare zwischen den Dachpfannen wuchert. Und ich möchte wissen, was sich die Tauben von ihrem letzten Ausflug erzählen.“