Hallo Tilo und alle die noch mitlesen - sorry - der Text ist jetzt grad ein bissl lang geraten :-)
> Im Moment ist es so dass die Uni Cottbus Ingenieure ausbildet. Es ist aber misslungen in der Region Cottbus Industrie anzusiedeln.
> Die Ausbildung eines Ingenieurs kostet die Region ca. 100.000 Euro. Der Ingenieur arbeitet später in Frankfurt oder Mannheim.
> D.h. es findet [] wie in Zeiten vor dem Mauerbau - ein Wertetransfer von einer armen Region in eine reiche Region statt.
Das ist in der Tat problematisch, zumal diese Ingenieure - würden sie nicht in eine wohlhabendere Region wechseln - ihrer eigenen Region als Arbeitslose auf der Tasche lägen, sodass es in der jetzigen Situation leider keine Alternative zu diesem Wertetransfer gibt.-
Ich meine in der Tat, dass es in der Gesellschaft in Deutschland einen Rechtsruck zu verzeichnen gibt. Ob man diesen wahrnimmt und wenn ja, wie stark, hängt immer auch ein wenig von den eigenen Lebensumständen ab: Wer im Leben immer alles richtig gemacht hat, beruflich fest im Sattel sitzt und gutes Geld verdient, der wird eher dazu neigen, das neoliberale Reformgerede gutzuheißen als jemand, der selbst von den "tiefgreifenden schmerzhaften Einschnitten" betroffen / bedroht ist.
Auch das biologische Alter spielt dabei Rolle. Wer in den 90ern groß geworden ist, dem fehlt einfach der Vergleich. Ich z.B. bin in den 70ern aufgewachsen und kann bedeutende Unterschiede zwischen dem "linken" Zeitgeist von vor 30 Jahren und dem "neoliberalen" von heute feststellen.
Ich will hier bestimmt nichts schönreden oder gar in Erinnerungen schwelgen - Nostalgie ist meine Sache nicht. "Der Mensch ist des Menschen Wolf" ist ein uralter Satz, der sicher auch schon in den 70ern gegolten hat. Egoisten und Ellbogenmenschen hat es schon immer gegeben, auch damals. Dennoch meine ich, dass die Gesellschaft damals fairer, solidarischer und menschlicher war als heute. Die Kommerzialisierung unserer Welt hat dazu führt, dass der Mensch sich und seinesgleichen mehr und mehr als Kosten-/Nutzenfaktor betrachtet und nicht als lebendiges Wesen.
Nun könnte man einwenden, dass es damals mehr Wohlstand zu verteilen gab als heute: weniger Arbeitslose, weniger Rentner, mehr Beschäftigte und niedrigere Staatsschulden. Man könnte daraus folgern, dass die Menschen die Situation damals entspannter beurteilt haben als heute.
Ich setze mal dagegen: Es gibt heute noch genau so viel Wohlstand zu verteilen wie damals - er wird nur zunehmend ungünstiger verteilt. Der Armutsbericht der Bundesregierung von 2004 spricht eine deutliche Sprache: demnach ist der Anteil derer, die unter der Armutsgrenze leben, in 6 Jahren Rot-Grün angestiegen, während sich gleichzeitig der Anteil der Reichen und Super-Reichen am Gesamtvermögen der Bevölkerung erhöht hat.
Bert Rürup hat mal in einem Focus-Interview Deutschland als "Globalisierungsgewinner" bezeichnet. Wenn das stimmt, fragt man sich doch: Wo bleibt dieser Gewinn? Wer hat den eingestrichen?
Die Globalisierung wird oft viel zu einseitig beurteilt. Das fängt schon damit an, dass in der öffentlichen Diskussion immer so getan wird, als würde von heute auf morgen eine Riesenwelle über uns herein brechen - in Wirklichkeit ist der internationale Handel doch ein alter Hut: Die Import-Export-Firma, für die ich arbeite, existiert bald 125 Jahre; heute wird viel aus China importiert, in den 70ern war's Japan, morgen ist es vielleicht Indien. Man sollte also nicht zu tun, als wäre das alles eine "ganz neue Herausforderung".
Klar können wir mit den Lohnkosten in Fernost nicht konkurrieren - das können unsere europäischen Nachbarn und die USA übrigens auch nicht. Dafür profitieren deutsche Firmen aber von der Möglichkeit, günstig aus Fernost zu importieren - auch das sichert Arbeitsplätze. Durch die Importe fließt Geld in diese Länder, so dass sie ihrerseits die Möglichkeit bekommen, auch mal von uns zu importieren.
Anders gesagt: Wenn es um die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft wirklich so schlecht bestellt wäre, dann wären wir nicht (selbst ernannter) "Export-Weltmeister", wie die Regenbogenpresse immer so schön sagt. Das Glas ist eben nicht immer nur halb leer - es ist genau so gut halb voll...
Aber es gibt eben Leute, die ein politisches Interesse daran haben, dieses Land und seine Wirtschaftskraft schlecht zu reden, um eine angebliche Notwendigkeit von Reformen zu begründen, die in Wahrheit eher ideologisch motiviert ist. Fast schon komisch mutet an, wenn die selben Miesmacher nun heftig zurückrudern und so halbseidene Kampagnen anleiern wie "Deutschland, das sind wir alle" (oder wie der Schmonsens heißt).
Um noch einmal auf das ursprüngliche Thema zu kommen... auch wenn die NPD u.ä. Organisationen nur die "Spitze des Eisberges" sind und das Problem Rechtsruck viel tiefer in der Mitte der Gesellschaft verwurzelt liegt: Würdest du ein NPD-Verbot befürworten? Oder hat deiner Einschätzung nach eher der SZ-Autor recht (siehe Link von out-freyn), der ein NPD-Verbot für eher kontraproduktiv hält?
CU
Olaf