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Mein altes ITTKofferradio wiedergefunden - durch den Fernseher Thread

Xdata / 21 Antworten / Flachansicht Nickles
schimi3 Olaf19 „Wickeldorne... den Ausdruck kannte ich noch gar nicht, hatte mir ...“
Optionen

Wickeldorn: das ist praktisch nur ein Teil des Wickeltellers, Bandtellers oder wie immer genannt, je nach Hersteller. Bei den meisten Fabrikaten gab es diese Teller nur komplett zu tauschen, der Wickeldorn ist nur das axial bewegliche Mittelstück mit den Mitnehmern. Standard gab es da keinen, da kochte jeder Hersteller seine eigenen Süppchen. Einzige Vorgabe ist die genormte Kassette. Eine ausgedörrt gebrochene abgesprungene Kappe führte bei manchem ITT-Modell rasch zur Selbstzerlegung der Teile darunter.

Als erklärendes Beispiel: die 2 Teller sind sehr unterschiedlich, da der im Wiedergabebetrieb "ziehende" Teller eine kleine Rutschkupplung beherbergt, welche bei vielen Herstellern sogar einstellbar war. Bei Philips (vermutlich auch bei anderen Herstellern) gab es da sogar eine eigene Friktionskassette zum Einstellen der Zugkraft. Ein allfälliges Bandzählwerk wird immer von solch einem Teller angetrieben, der kleine zusätzliche Riemen kann oben oder unten angeordnet sein, die Entwickler trieben da oft auf dem gleichen Grundchassis extreme Auswüchse. Erst gegen 1980 schaffte es Philips, für alle tragbaren Geräte ein einheitliches Grundchassis zu bauen, mit Zahnradantrieb und universell anpassbar, etwa ein Zählwerk = ein zusätzliches Zahnrad im neuen Plastikchassis, welches generell die Bohrungen für alle Optionen aufwies. Das brachte natürlich erhebliche Einsparungen in der Ersatzteilbewirtschaftung, da die Summe der Einzelposten drastisch sank. Ein Philips-Techniker, welcher in meinem Ausbildungsbetrieb (natürlich auch in anderen Firmen) vor Markteinführung Serviceschulungen durchführte, nannte dieses Chassis "Europa-Chassis", ich weiß aber nicht, ob dieser interne Entwicklungsname beibehalten wurde.

Doch da ich schon beim techn. Schwadronieren bin, möchte ich eins draufsetzen, und zwar zum Uher-Gerät im zweiten posting hier. Xdata (wink nach Berlin!) erwähnte den Drehstromantrieb des Gerätes. Hochwertige bis sauteure Geräte hatten sowas nämlich tatsächlich.

Vielleicht sind für manche die Gründe bzw. Unterschiede der möglichen Antriebsmotoren interessant:

  1. Der Drehstrommotor wurde von einem "Mini-Inverter" mit Transistoren angesteuert, dadurch extrem drehzahlstabil und leise. Auch beim Schnellspulen ergaben sich dadurch ganz andere Möglichkeiten (sanfter Anlauf bis höchste Drehzahl usw...), bei einem Kassettenrekorder purer Luxus, ausgenommen Profianwendungen. Bei "echten" Tonbandmaschinen gab es das häufiger.
  2. Der tachogeregelte Gleichstrommotor wird zwar auch elektronisch geregelt, aber auf eine einzige fixe Drehzahl, welche per kleinem Poti einstellbar ist. Allerdings lassen manche Hersteller für Spulvorgänge die volle Spannung ungeregelt an den Motor. Europäische Erzeugnisse (auch hier entwickelt und gebaut!) hatten durchwegs solche Motoren.
  3. Der fliehkraftgeregelte Motor kam vorwiegend in japanischen Geräten zum Einsatz, ohne weitere Eingriffsmöglichkeit. Im Defektfall zwar am teuersten als Ersatzteil, dafür war keine elektronische Peripherie nötig.

Dafür benötigten 2 + 3 umfangreiche Abschirmungsmaßnahmen des Motors, da sonst ein extremes Störgeprassel der Bürsten in das direkte Umfeld eingestreut worden wäre. Die teuerste Lösung 1 war für Kassettenrekorder absolut nicht üblich, solch damals extrem aufwändige Technik erleichterte aber die Qualifikation zur DIN 45500. Aber der Uher vom Xdata wurde ja nicht einem Aldi-Regal entnommen und er ist sich bewusst, was er da hat.

SL600 vom Olaf: da hattest Du auch ein Gerät abseits der breiten Masse. Herr Google hat mir sogar gleich ein aktuelles Angebot mit sehr schönen Fotos gezeigt:

http://www.ebay.de/itm/OCEANIC-ITT-Schaub-Lorenz-SL-600-Magnetophone-a-Cassette-Lecteur-Enregistreur-/111704663380?_trksid=p2054897.l4275

80€ verlangt Der, ob teurer Schrott oder echtes Liebhaberstück kann man so nicht sagen, aber die Fotos sind prächtig. Was nach Erstansicht das ehemalige Modell des Olaf adelt, ist die Auswahlmöglichkeit der Aufnahmeaussteuerung. Bei der Automatik kann zwar nichts schief gehen, aber sie bewirkt einen enormen Dynamikverlust samt Rauschen in leisen Passagen. Bei Musikwiedergabe merkt man das weniger, aber bei einem Interview kommt rasch störendes Rauschen in Pausen in die Aufnahme, wenn die Verstärkung hochfährt, kann jeder leicht selbst testen.

Aber wenn auch nur ein user einen Nutzen aus diesem Nischenthread ziehen kann, hat der sich schon gelohnt. Ein wirklich schönes, altes und funktionstüchtiges Objekt wertet optisch zeitlos jedes Regal auf, wobei daneben oder versteckt ja durchaus auch modernste Technik Platz haben darf.

So, nun ab in die Brause, meine Holde behauptet, ich würde stinken.  ÜberraschtZwinkernd