EU-Umweltagentur warnt vor Handy-Strahlung
Behörde: Hinweise auf höheres Risiko für Hirntumor - Niedrigere Grenzwerte gefordert
Mainz. Als erste EU-Fachbehörde warnt die Europäische Umweltagentur (EEA) ausdrücklich vor Gesundheitsgefahren durch Handys. Es gebe klare Beweise, dass starke Handy-Nutzer, die ihr Handy mehr als 15 Jahre lang etwa 460 Stunden im Jahr genutzt hätten, Ausprägungen von Hirntumoren gezeigt hätten, sagte EEA-Direktorin Jaqueline McGlade der TV-Sendung „Report Mainz“: „Handys mögen schwach strahlen, aber es gibt genügend Beweise für Wirkungen auch bei schwacher Strahlung, so dass wir jetzt handeln müssen.“ Die Behörde in Kopenhagen bezieht sich auf einen Bericht der „Bioinitiative Group“, der Ende August veröffentlicht wurde und bei dem die Umweltfachbehörde ein Mitautor ist. Der Zusammenschluss von Wissenschaftlern hat 2000 Studien zur Wirkung von elektromagnetischen Feldern ausgewertet. Zentrales Ergebnis des Berichts ist laut „Report“ die Aussage, dass sich das Risiko für Hirntumore nach mehr als zehn Jahren Handynutzung um 20 bis 200 Prozent erhöht. Zudem gibt es laut McGlade durch Mobilfunkstrahlung auch unter den geltenden Grenzwerten Effekte in menschlichen Zellen, weshalb die EEA rate, die Grenzwerte zu senken.AP
Vorsicht ist angebracht
12.12.2007
Kinder und Handys
Vorsicht ist angebracht [177 KB]
Veröffentlichung mit freundlicher Erlaubnis
der Österreichischen Ärztezeitung
Ausgabe ‹22‹ 25. November 2007
Von Agnes M. Mühlgassner
Keine Null-Cent-Tarife und ein Verbot der Handy-Werbung, die sich an Kinder und Jugendliche richtet, fordern Vertreter der Ärztekammer Wien. Nicht nur sie geben wegen der möglichen gesundheitlichen Auswirkungen Empfehlungen für den vorsichtigen Umgang mit Handys aus, auch der Oberste Sanitätsrat und die Europäische Umweltagentur warnen.
Die Positionen könnten nicht kontroversieller sein: Während von der Mobilfunkindustrie schädliche Wirkungen der modernen Telekommunikation vehement bestritten werden, verstummt auf der anderen Seite die Kritik der Gegner nicht. An vorderster Stelle dabei: die Wiener Ärztekammer, die das Thema Mobilfunkstrahlung erstmals im Jahr 2005 aufgegriffen hat.
Mittlerweile ist einiges geschehen: Die Infokampagne zum sorgsamen Umgang mit Mobiltelefonen „ist zur Erfolgsgeschichte geworden“, wie Wiens Ärztekammerpräsident Walter Dorner betonte. Erfolgreich war auch das zugehörige Plakat mit den zehn medizinischen Handyregeln: Mehr als 21.000 Stück wurden bis dato gedruckt und in Schulen, Vereinshäusern etc. aufgehängt. Mittlerweile ist es auch in englischer, französischer, italienischer, schwedischer, polnischer, ungarischer und holländischer Sprache erhältlich.
Ein besonderer Dorn im Aug sind Walter Dorner die Null-Cent-Tarife. „Auf die sollte man schön langsam verzichten“, wie er meint. Auch von seiner Forderung, Handys mit dem SAR-Wert (= Spezifische Absorptionsrate; bis zu 90 Prozent der abgegebenen Leistung werden im Kopf des Nutzers absorbiert) zu kennzeichnen, rückt er nicht ab. Ein Verbot von Werbung, die sich speziell an Kinder und Jugendliche richtet, soll dazu beitragen, dass sich das Image des Handys ändert. „Es kann zu gesundheitlichen Auswirkungen kommen“, betont der Ärztekammerchef. Und mittlerweile hätte ja sogar der Oberste Sanitätsrat eine Empfehlung für den vorsichtigen Umgang mit Handys ausgegeben, für Dorner ein „sensationeller Erfolg“. Warnungen gibt es auch auf europäischer Ebene. So hat erst kürzlich die Europäische Umweltagentur (EEA) ausdrücklich vor den Gesundheitsgefahren durch Handys gewarnt. Hintergrund: Es gebe klare Beweise, dass Personen, die ihr Handy mehr als zehn Jahre lang rund 460 Stunden im Jahr genutzt hätten, ein erhöhtes Risiko für Hirntumore gezeigt hätten.
Die Europäische Umweltagentur hat auch festgestellt, dass heute früher, länger und öfter telefoniert wird, auch bei Kindern und Jugendlichen, betonte der Umweltreferent der Wiener Ärztekammer, Erik Huber. Immerhin: 70 Prozent der Jugendlichen zwischen 12 und 13 Jahren besitzen ein eigenes Mobiltelefon; von den acht- bis neunjährigen nennt es jedes vierte Kind sein eigen. In der „massiven Werbung, die ein positives Bild von Handys vermittelt“, sieht Huber ein großes Problem, der dies überdies „für eine Art von Manipulation“ hält. Sehr viel differenzierter hingegen geht man von Seiten der Wissenschaft an das Thema heran. „Die Wissenschafter streiten nicht mehr, ob Handys schädlich sind, sondern wie schädlich sie sind.“ Nachgewiesen sind Brüche von Doppelstrang-DNS; der ‚missing link“ sei der kausale Zusammenhang. Huber verweist darauf, dass es auch beim Lungenkrebs erst Mitte der 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts gelungen sei, den kausalen Zusammenhang mit dem Rauchen nachzuweisen. „Ich hoffe, dass es beim Mobilfunk nicht so lange dauern wird.“ So habe etwa eine Metastudie ergeben, dass nach zehn Jahren Handynutzung das Risiko für Gehirntumore deutlich 200 Prozent erhöht ist.
„Kinder unter 16 Jahren sollten das Handy überhaupt nicht nutzen“, sagte Huber. Hier seien die Auswirkungen noch gravierender, weil die Kalotte noch wesentlich dünner sei und darüber hinaus noch blutbildendes Knochenmark enthalte. „Man nimmt an, dass die Mikrowellen relativ gesehen tiefer in den kindlichen Schädel eindringen“. Was konkret bedeutet, dass die Eindringtiefe zwar ähnlich der beim Erwachsenen ist, aber aufgrund des geringeren Schädeldurchmessers werden tiefer liegende Areale erreicht. Huber geht es vor allem darum, Bewusstsein zu schaffen: „Wer mit acht Jahren anfängt, mobil zu telefonieren, hat seinen Kopf als 30-, 40- Jähriger einer noch nie da gewesenen Strahlenbelastung ausgesetzt“. Ganz konkret sind die Forderungen, die Huber an die Politik richtet:
• Ein Verbot von Handywerbung, die sich an Kinder und Jugendliche richtet.
• Kein Null-Cent-Tarif
• Keine Desavouierung von Ärzten
• Strahlungsarme Handys
• Kennzeichnung der Handys mit SAR-Werten.
Der Leiter des Instituts für Umwelthygiene der Medizinischen Universität Wien, Univ. Prof. Michael Kundi, mahnt epidemiologische Daten, Provokations- und Langzeituntersuchungen sowie in vitro-Untersuchungen ein.
„Die Technologie wurde eingeführt ohne jede Abklärung von Nebenwirkungen. Wir brauchen eine wissenschaftliche Risikobeurteilung.“ Denn schließlich gehe es darum, dass beim mobilen Telefonieren „eine Mikrowellenquelle an den Kopf gehalten wird.“
Zum Zeitpunkt der Einführung von digitalen Mobilfunksystemen in Europa Anfang der 1990er Jahre gingen Schätzungen davon aus, dass etwa 20.000 bis 40.000 Österreicher die neue Technologie nutzen würden. Kundi erinnert sich auch daran, dass es etwa Mitte der 90er Jahre gehäuft Anfragen bezüglich der Nebenwirkungen von Handys an seinem Institut gab. Den Aussagen eines australischen Mobilfunkbetreibers zufolge existierten damals 10.000 Untersuchungen, die keine gesundheitlichen Auswirkungen von Handys nachweisen konnten. „Eine reine Mystifikation“, so Kundi. Diese Studien gab es nicht. Wieviel Untersuchungen existieren tatsächlich? Kundi sagt: „Insgesamt einige hundert.“ Und weiter: „Wir können heute daran gehen, das Risiko zu bewerten.“ Allerdings: Man könne derzeit nur eine Technologie beurteilen, die es ja mittlerweile in der mobilen Telekommunikation nicht mehr gibt, nämlich die erste Generation von Handys.
Aber eine Grundregel in der Umweltmedizin besagt: ‚Schadwirkungen kann man generalisieren von Gleichem auf Ähnliches’. Woraus Kundi ableitet: „Was wir von der vorangegangenen Technologie wissen, reicht aus für die Vorsorge.“
Schon im Stewart-Report aus dem Jahr 1999/2000 hatte es geheißen, man sollte Kinder entmutigen, Handys zu verwenden. Warum? „Es gibt keine langfristigen Untersuchungen darüber. Aber schon heute haben viele Vorschulkinder ein Handy und wir befürchten, der frühe Beginn könnte sich nachteilig auf die Gesundheit auswirken.“
Konkret in Planung sind zwei Studien: eine von der IARC (= Internationale Krebsagentur der WHO) über Tumoren bei Kindern im Kopfbereich durch die Handynutzung; eine weitere Studie soll es im Rahmen des 7. EUForschungsprogamms geben.
Es gäbe auch seriöse Wissenschafter, die nicht der Meinung sind, dass es durch das Mobiltelefonieren zu Schäden kommen kann, weiß Kundi.
Was es aber keinesfalls geben sollte: „Bewusste Fehlinterpretationen.“
Tipps für die Praxis
• Wenn man das Handy schon einsteckt, dann möglichst nicht in die Hosentasche, sondern in eine Außentasche.
• Lange Telefonate über einen Festnetzanschluß führen.
• Beim Schlafen Handy abdrehen und möglichst nicht in Kopfnähe aufbewahren.
• Beim Telefonieren im Auto: werden Außenantennen verwendet, geht das Risiko gegen Null. Eine Bluetooth-Freisprecheinrichtung stellt eine zweite Strahlenquelle dar.
• Wenn möglich: mobiles Surfen im Internet meiden; die Karte strahlt für zwei bis drei Stunden.
• Keine Spiele am Handy (außer off-line)
• Headsets reduzieren die Belastung nicht; Bluetooth erhöht sie so