Aus meiner Sicht besteht das Problem nicht darin, was jemand glaubt - egal, ob im religiösen, politischen oder sonstigen Bereich. Es ist sein Leben, es gibt Meinungsfreiheit und Glaubensfreiheit ohnehin. Das Problem entsteht dann, wenn sich eine größere Menge von Menschen gleichen Glaubens zusammenfindet und eine gesetzliche Regelung fordert, die die Besonderheit ihres Glaubens berücksichtigt, die nun alle betreffen, auch diejenigen, die etwas ganz anderes glauben.
Es ist selbstverständlich jedem unbenommen, alle jene Dinge zu vermeiden, von denen er glaubt, dass sie ihm oder anderen schaden. Ich halte es in gewissen Situationen auch für sehr sinnvoll, wenn sich schon mal ein (dringender?) Verdacht ergeben hat, die Dinge zu meiden und nicht erst darauf zu warten, bis die Wissenschaft einen schlüssigen Beweis vorgelegt hat. Wenn ich entsprechende Befürchtungen hege, werde ich Handys, Genmais, homogenisierte Milch, Chemiefarbstoffe in Lebensmitteln und Textilien usw. usw. meiden, ich werde eventuell meine Wohnung "stromlos" schalten lassen, damit ich während des Schlafens keinem unnötigen Elektrosmog ausgesetzt bin (oder vielleicht einfach nur den WLAN-Router, das Schnurlostelefon und das Handy abdrehen). Das muss jeder mit sich selbst ausmachen, ob er den damit meist verbundenen Komfortverlust (oder erhöhte Kosten - man sehe sich die Preise in einem Naturkostladen an) in Kauf nehmen will oder nicht.
Aber das Leben läuft meist anders: Es ist selten eine Frage des entweder-oder. Jeder, der am Straßenverkehr teilnimmt, weiß, dass er sich damit einem zusätzlichen Risiko aussetzt (Tausende Verkehrstote und ein Vielfaches an schwer Verletzten jedes Jahr; angeblich gibt es auf den Straßen der USA pro Jahr mehr Unfalltote als der gesamte Vietnamkrieg an Kriegstoten gekostet hat), und dennoch lässt sich kaum jemand davon abschrecken, trotzdem ins Auto zu steigen. Jeder kalkuliert für sich das Risiko und sagt sich dann: Die Wahrscheinlichkeit, dass es mich erwischt, ist so gering, dass ich dieses Risiko in Kauf nehme, weil mir die Vorteile, die mir das Autofahren bieten, wichtiger sind. Das ist nun ebenfalls eine persönliche Entscheidung. Es würde ein Revolution losbrechen, wenn eine Regierung auf die Idee käme, wegen der tatsächlich nachgewiesenen Verkehrstoten und Unfallverletzten allgemein das Autofahren verbieten zu wollen. Mit anderen Worten: Angenommen, die Schädlichkeit des Handys wird wissenschaftlich sauber nachgewiesen, dann ist es immer noch die Frage, _wie_groß_ diese Schädlichkeit ist - ob sie z. B. in einer ähnlichen Größenordnung liegt wie die zusätzlichen Todesfälle durch den Straßenverkehr im Vergleich zu den Gesamttoten oder wie beim Rauchen - das um ein Vielfaches tödlicher ist wie Autofahren - und dennoch noch immer nicht verboten ist.
Also nochmals: Ich finde es durchaus sinnvoll, potentielle Risken zu meiden. Wenn ich jedoch eine persönliche Entscheidung zwischen dem Risiko (und dessen subjektiven Annehmlichkeiten) und dem Verzicht treffen soll. würde ich schon ganz gerne das Ausmaß des Risikos kennen. Um es auf den Punkt zu bringen: Wenn von 100 durchschnittlichen Handybenutzern aufgrund des Handygebrauchs durchschnittlich einer einen Hirntumor bekommt, dann wäre mir dieses Risiko zu groß und ich wäre auch für ein gesetzliches Verbot. Wenn aber lediglich auf 1.000.000.000 ein zusätzlicher Hirntumor kommt, wäre es _mir_ das Risko wert (man vergleich das einmal mit dem Verhältnis der insgesamt gefahrenen Kilometer in einem Land mit den Verkehrstoten dieses Landes oder den insgesamt geflogenen Kilometern mit den Toten durch Flugzeugunglücke etc. etc.). Deshalb hätte ich auch gerne bei der oben zitierten Statistik gewusst, wie sich das in Zahlen ausdrückt, bzw. was dieses "odds ratio (OR) = 2.9, 95% Konfidenzintervall (CI) = 2.0–4.3" konkret bedeutet.
Gruß, Gerhard