Allgemeines 21.954 Themen, 147.966 Beiträge

News: Recht auf Meinungsfreiheit

Gerichtsurteil: Anonyme Kritik im Internet ist zulässig

Michael Nickles / 7 Antworten / Flachansicht Nickles

Im Internet gibt es viele Bewertungs-Plattformen und Foren, bei denen man anonym mitmachen, seine Meinung sagen kann. Dabei kommt es zwangsläufig auch zu Kritik und Äußerungen, die Betroffenen nicht unbedingt schmeckt.

Vor dem Oberlandesgericht Hamm wurde laut Bericht im juristischen Blog Telemedicus jetzt so ein Fall behandelt. Ein vermutlicher Patient hat seinen Psychotherapeuten auf einem Bewertungsportal anonym schlecht bewertet und der Arzt hat daraufhin den Betreiber des Portals verklagt.

Er forderte den Betreiber auf, die Identität des Teilnehmers rauszurücken. Außerdem verlange er die Entfernung der schlechten Bewertung und wollte auch Schadensersatz fordern. Erfolglos.

Die Richter entschieden zugunsten der Meinungsfreiheit, urteilten, dass auch anonyme Meinungsäußerungen im Internet zulässig sind und Betroffene das akzeptieren müssen. Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit, gilt also auch für anonyme Mitteilungen im Internet.

Die Urteilsbegründung kann hier abgerufen werden: Oberlandesgericht Hamm, I-3 U 196/10

Michael Nickles meint: Das ist natürlich ein erfreuliches Urteil, allerdings auch ein gefährliches! Viele werden sich daraus wohl ableiten, dass alles was man im Internet anonym schreibt, durch das Recht auf Meinungsfreiheit gedeckelt ist. DEM IST NICHT SO!

Kommt es zu einem Rechtsstreit, dann hängt das schon schwer davon ab, wie und was als "Meinung" geschrieben wurde. Pauschal "zulässig" sind gewiss nur Meinungsäußerungen, die sich "nüchtern" auf die jeweilige Sache beziehen.

In der Urteilsbegründung steht unter anderem "Die Bewertungen betreffen die berufliche Tätigkeit des Klägers..." - die Privatspähre des Artzes wurde also wohl nicht verletzt.

Im Fall von Beleidigungen oder Unterstellungen (beispielsweise jemanden als "Betrüger" zu bezeichnen) kann es gewiss zu kostspieligen Folgen kommen. Also aufpassen!

bei Antwort benachrichtigen
gerhard38 Michael Nickles „Gerichtsurteil: Anonyme Kritik im Internet ist zulässig“
Optionen

Ich halte das für ein sehr wichtiges Thema, und zwar grundsätzlich: Welche Möglichkeiten hat der Konsument, seine Erfahrungen zu veröffentlichen, ohne dass er sich den Vorwurf der Geschäftsschädigung etc. aussetzt. Das kann ja nicht sinnvoll sein, wenn jemand schlechte Erfahrungen macht, dass er die für sich behalten muss, sodass andere möglicherweise in die selbe "Falle" tappen.

Die Gegenposition ist auch verständlich: Wer schützt den Verkäufer / Händler / Diensteanbieter vor ungerechtfertigten Anschuldigungen, eventuell sogar von der Konkurrenz gezielt vorgebracht?

Bei Psychiatrie, Ämtern und Behörden etc. ist es nochmals komplizierter: Da stehen die eben genannten unter Verschwiegenheitsverpflichtung und können sich nicht einmal wehren, ohne gegen gesetzliche Bestimmungen zu verstoßen. Man stelle sich vor, ein Klient eines Psychotherapeuten äußert seine Unzufriedenheit über den Therapeuten - und der Therapeut würde jetzt, um sich zu verteidigen, eine detaillierte Falldarstellungen mit intimen Details aus der Therapie veröffentlichen, um zu erklären, warum die therapeutischen Maßnahmen alle in Übereinstimmung mit den Richtlinien und erfolgten und dass die vom Patienten vorgebrachte Kritik ein unmittelbares Symptom seiner Erkrankung ist (der hat vielleicht eine schizothyme Paranoia oder eine entsprechende Persönlichkeitsstörung, die bei ihm zwangsweise zu wildem Kritisieren an allem und jedem führt).

Andererseits ist ja klar, dass es auch bei Psychotherapeuten wie bei allen sonstigen Berufsgruppen fähigere und weniger fähige Therapeuten gibt, anständige und weniger anständige. Wer also entscheidet a) wo im gegenständlichen Fall sachlich das Recht liegt und b) wer ist im Falle, dass der Patient mit seiner Kritik Recht hat, verpflichtet, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen, dass dem (ungeeigneten) Therapeuten das Handwerk gelegt wird, sodass er nicht auf weitere therapiebedürftige (und daher meist auch nicht so robuste) Menschen losgelassen wird, die sich nicht wirklich wehren können.

Die Fragestellung lässt sich jetzt für andere Fälle (Lehrer, Beamte, Händler, etc.) verallgemeinern.

Gruß, Gerhard

bei Antwort benachrichtigen