Off Topic 20.351 Themen, 225.931 Beiträge

Prozess gegen Lynndie England - nur ein Bauernopfer?

Olaf19 / 40 Antworten / Flachansicht Nickles

Hallo zusammen.

Heute beginnt vor einem US-Militärgericht der Prozess gegen die Soldatin Lynndie England wegen der Misshandlung irakischer Gefangener. Ich sehe das mit gemischten Gefühlen. Generell kann man kaum etwas dagegen haben, dass ihr für diese Handlungen der Prozess gemacht wird. Und doch drängt sich mir in diesem Zusammenhang immer der Begriff des "Bauernopfers" auf.

Bereits Anfang Mai war durchgesickert, dass US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld schon lange von diesen menschenrechtsverletzenden Vorgängen gewusst hatte. Mehr noch, er soll sie eine zeitlang sogar angeordnet haben. Die logische Konsequenz waren Rücktrittsforderungen von allen Seiten, auch aus den eigenen Reihen - und sind es noch.

Jetzt, 2 Monate später, ist er immer noch im Amt. Ehrlich gesagt, ich verstehe das nicht. Für jeden auch nur halbwegs zivilisierten Staat dieser Welt muss ein hochrangiger Politiker, der sich Derartiges zuschulden kommen lässt, hoffnungslos untragbar sein. Zumal wenn man sich, so wie die USA, zum Welt-Moralapostel und -Polizisten aufschwingt, die Erde nach eigenem Gutdünken in Gut und Böse, in Freundes- und "Schurkenstaaten" aufteilt.

Die Vorstellung, dass ein als befreundet eingestufter Staat, sogar Bündnispartner wie die USA so jemanden nach wie vor als Verteidigungsminister beschäftigt, finde ich ziemlich bedrückend. Warum muss Rumsfeld nicht zurück treten? Das Ansehen der USA und ihrer Regierung ist ohnehin schwer beschädigt - ein Rücktritt des Hauptverantwortlichen ist doch wohl das mindeste, was man erwarten kann. Allein der "Selbsterhaltungstrieb" der Republikaner und ihres Präsidenten sollte dazu führen, auch dem amerikanischen Volk wäre man das schuldig.

So wie es ausschaut, soll das Problem "ausgesessen" werden - ich kapier das einfach nicht. Wie sehr ihr das?

CU
Olaf

P.S.: Links zum Thema:
n-tv heute: Prozess gegen Lynndie England
FAZ am 8. Mai zu Rücktrittsforderungen gegen Donald Rumsfeld
Hamburger Abendblatt von heute: Rückendeckung für und Unterschriften gegen Rumsfeld

Die Welt ist ein Jammertal ohne Musik. Doch zum Glueck gab es Bach, Beethoven, Haendel und Goethe (Helge Schneider)
bei Antwort benachrichtigen
dünne Decke Zivilisation rill
vanGoehs Olaf19 „Prozess gegen Lynndie England - nur ein Bauernopfer?“
Optionen

Die Handlungen der momentan regierenden US-Administration verstören uns Europäer, keine Frage und zwar zu recht. Nicht selten verstehen wir sie einfach nicht. Aus diesem Nicht- Verstehen ziehen wir aber immer wieder gerne Fehlschlüsse, bzw. stellen Vergleiche auf, die nicht nur im Kern falsch und leichtsinnig sind, sondern vorallem nichts dazu beitragen werden , zukünftige Handlungen der US-Administration vorhersagen zu können bzw. adäquat auf diese zu reagieren.

"Ich kann zwischen dem Herrenmenschendenken der Nazis und dem Weltmachtanspruch der Amerikaner keinen großen Unterschied erkennen.."

Hier liegt ein schwerwiegender Fehlschluß vor. Der Unterschied ist sogar gravierend. Davon abgesehen, dass die Nazi- Ideologie totalitärer Natur war, sind die Motivationen, die entsprechenden außenpolitischen Handlungsschemata zu Grunde liegen, vollkommen andere. Kritisch ist auch der Begriff des Weltmachtanspruches, der unterstellt, die USA fordere diesen für sich ohne Grundlage ein. Die USA braucht keinen Anspruch, sie SIND eine Weltmacht. Die Frage ist eher, welche Verantwortung sich aus dieser Stellung heraus
für einen Staat gegenüber dem Rest der Welt ergibt. Wenn es irgendwo brennt, rufen alle nach den USA und erinnern sie an ihre Verantwortung. Kommen sie nicht, ist die Empörung (zu recht) groß.

Ein Hegemonialdenken im europäischen Sinne ist den USA sogar wesensfremd. Ihre politische Kultur ist geprägt von tolerantem Isolationismus. Man begreift sich noch immer als das Land, dessen politisches und kulturelles Modell einen Kontrapunkt zu allen Monarchien, Unrechtsstaaten oder Diktaturen setzt. Als ein Land, das der ganzen Welt zeigt, wie man es besser machen könnte ohne freilich sein System in irgendeiner Weise aggressiv exportieren zu wollen. Aus dieser politischen Kultur heraus folgte beisspielweise ein außenpolitischer Isolationismus, der die USA in den ersten Weltkrieg genauso widerwillig eintreten ließ, wie in den zweiten. Erst der Angriff auf Pearl harbour und die Kriegerkärung Deutschlands an die USA hat sie zum Eingreifen veranlasst. Auch nach Ende des zweiten Weltkrieges hätten die meisten Amerikaner wohl am liebsten ihre GI'S aus Europa abgezogen.

Bevor alle über mich herfallen: Natürlich stehen ihre gegenwärtigen Handlungen in scharfem Kontrast zu diesen Ausführungen. Ihr Selbstverständis und das Bild , das die Welt von ihnen hat, könnten gegensätzlicher nicht sein. Tatsache ist jedoch, dass eben dieses Selbstverständis der USA der Schlüssel zu ihren Handlungen ist. Der 11. September hat eine politische Kettenreaktion ausgelöst. Die USA sieht sich im Krieg. Versteht nicht, warum man sie angegriffen hat. Sieht sich als Opfer, in der Verteidigerrolle. Ihre Reaktion könnte nicht bedenklicher sein. Der latente außenpolitische Isolationismus ist einem Unilaterismus gewichen. Das Ganze hat gefährlich trotzige Elemente. Salopp formuliert sagt sich die USA: Ihr wollt eine Supermacht ? Na gut, dann kriegt Ihr jetzt eine Supermacht!


"- und die Methoden der Marines in Guantanamo oder im Irak dürften sich kaum von denen der Gestapo oder SS unterscheiden"

Todesschwadronen, Massenexekutionen, Massenvertreibungen, industrielle Todesmaschinerien, die auf eine möglichst effizente Vernichtung von Menschenleben in kurzmöglichster Zeit hin ausgerichtet waren ( durch Massenerschießungen gings nicht schnell genug ); Stichpunkte , die zu denken geben sollten. Sowohl in der Methodik, wie auch was die Frage der Motivation angeht, halte ich auch hier den Unterscheid für gravierend. Die gegenwärtige Regierung der USA mit den Nazis zu vergleichen bringt niemanden weiter.

"Glaubst Du etwa im Ernst, Bush und seine Handlanger wollten Frieden mit der moslemischen Welt? Die wollen die Kontrolle über das moslemische Öl, sonst nichts!"

Du hast recht, wenn Du darauf hinweist, dass hinter den pathetisch-ideologischen Reden von Bush und Co auch handfeste Interessenpolitik steckt. Stichwort Öl. Bleiben wir doch einmal dabei. Der nahe Osten ist für den westlichen Wirtschaftsraum aufgrund seiner Ölvorkommen von ungeheurer Bedeutung. Europa wie auch die USA haben ein politisches Interesse daran, dass diese Region nicht in Flammen aufgeht. Der Frieden und die Stabilität in der Region sind tatsächlich Ziele einer vernünftigen Interessenpolitik und sind ziemlich frei von jeder Ideologie. Dies ist auch der Grund, warum die USA Sadam so lange tatkräftig unterstützt haben. Lieber ein Diktator, der dafür sorgt, dass der nahe Osten berechenbar bleibt, als eine Theokratie nach iranischem Vorbild, so lautete die Devise in den 80ern. Und immer drehte es sich dabei ums Öl.
Macht man sich das bewußt, so fällt schnell auf, dass der Angriffskrieg gegen den Irak vom Standpunkt einer rationalen Interessenpolitik aus betrachtet im Grunde Wahnsinn war. Versucht man die USA durch den Vorwurf, im Grunde nur Interessenpolitik zu betreiben, zu diskreditieren, übersieht amn das eigentlich Gefährliche in den Handlungen der USA.

Der Krieg wurde aus irrationalen, naiven und ideologischen Gründen heraus geführt. Das ist in der Tat gefährlich. Es ist kaum zu fassen, aber Bush glaubte offenbar wirklich, er werde als Befreier gefeiert, er glaubte wirklich, der Irak würde sich sogleich demokratisieren lassen, er glaubte wirklich ein demokratischer Irak könnte positiv auf seine Nachbarländer wirken, er glaubte wirklich, dies würde zu Frieden und Stabilität in der Region führen, was uns wiederum zum Öl bringt. Er glaubte aber auch wirklich, vom Irak gehe eine Bedrohung für die USA aus. Zu guter letzt: er glaubte wirklich, man brauche keinen Friedensplan für die Zeit danach, denn Freiheit und Demokratie würde alles von selbst erledigen.

Glaube ist Ideologie. Ideologie denkt schwarz/weiß. Ideologie macht blind. Ideologie ist gefährlich. Wenn man darauf hinweist, die USA verfolgten eiskalte Interessenpolitik, versteht man das Denken der Bush- Administration nicht nur nicht, man VERHARMLOST auch die Gefahren die daraus erwachsen.

bei Antwort benachrichtigen
wahrheit Mario32