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Nachtgedanken zur modernen Kommunikation

triker / 18 Antworten / Flachansicht Nickles

Nachtgedanken zur modernen Kommunikation----


oder:


Irgendwie steckt da manchmal der Wurm drin....

Bitte melde dich (nicht) ?


Es ist paradox, daß gerade Liebesgeschichten quasi naturgemäß durch Mißverständnisse und Unsicherheiten gekennzeichnet sind. Als wäre das nicht schon traurig genug, pfuscht uns nun auch noch die Kommunikationstechnik ins emotionale Handwerk . Das jahrhunderte-alte Balzverhalten zwischen Männern und Frauen wird durch moderne Maschinen und Mechanismen empfindlich beeinflußt.
Anrufbeantworter und Mailbox, Email und Fax, Quix und SMS: Es herrscht das Zeitalter totaler kommunikativer Verfügbarkeit. Das überholte "Ich-habe-vergeblich-versucht-dich-zu-erreichen" wurde ersetzt durch Variationen von "Sprich-mir-doch-aufs-Band".


Ich beklage eine gewisse Inflationierung jedweder Kontaktaufnahme (und bin dabei sowohl Opfer als auch Nutznießer). Es gab Zeiten, da schickten sich Liebende Botschaften, die höchst risikoreich wochenlang unterwegs waren. Man bediente sich reitender Kuriere (Pferd stürzt, Reiter tot, Briefschicksal ungewiß), umständlicher Transportwege zu Wasser (Schiff sinkt, Oscar-reife Filmvorlage, der Brief geht unter) oder der klassischen Postkutsche (Überfall, Briefe werden verbrannt). Der Akt kommunikativer Zeichen war heilig, Kontakt kostbar, die Mittel rar.


Wenn Liebende heute noch vor Sehnsucht schmachten, mag das an Minderwertigkeitskomplexen oder Auslandsaufenthalten liegen - nicht aber an mangelnden Möglichkeiten. Das zeitgemäße Rendezvous im auslaufenden Jahrtausend durchläuft in der Regel einige Handy, Fax- oder Email-Stationen, wenn diese die Verabredung nicht gar irgendwann substituieren. Verbindliche Termine sind selten; wahrscheinlicher ist: "Wir können ja noch mal telefonieren."


Ich habe ein höchst ambivalentes Verhältnis zu ISDN. Auch hier: Welch' Eingriff in evolutionäres Verliebtseins - Verhalten! Noch vor wenigen Jahren war es möglich, das Objekt der Begierde unter Herzklopfen so oft anzurufen, bis es persönlich an der Strippe war. Dann konnte man (typisch verliebt eben) gespielt - gefaßt vermelden: "Ich dachte, ich ruf' Dich einfach mal an". Schön unauffällig, von den vorangegangenen Versuchen konnte er nicht wissen. Heutzutage verpetzt mich sein Display, das schadenfroh vermeldet, die Telefonnummer soundso hätte xmal versucht, ihn zu erreichen. Na wunderbar. Da der Verliebte nicht zum Psychopathen gestempelt werden möchte, überlegt er genau, ob und wann er anruft. Ein Jammer.


Auch der Anrufbeantworter ist kein Unschuldsengel in Sachen Liebe. Zwar hilft er, unangenehmen Situationen auszuweichen (erstmal hören, wer da anruft...). Brav, Maschine. Tausend Dank. Er erfindet jedoch auch neue unangenehme Situationen. Etwa folgende: Ein Rendezvous mit dem Traum-Partner endet in deinem Zuhause. Da leuchtet bereits eine herausfordernde "2". "Du hast zwei Anrufe", flötet Ihr Gast. Hossa - jetzt wird russisches Roulette gespielt. Hören Sie das Band jetzt nicht ab, wird Mißtrauen geweckt. Hören Sie es ab, ruft vielleicht dein bester Freund: "Wo steckst Du? Hast Du sie rumgekriegt? Ruf mich an." Oder ein Mensch des anderen Geschlechts weist Dich zärtlich darauf hin, daß bei ihr noch "dein Sweatshirt liegt. Es riecht so schön nach dir.“


Selbstverständlich gibt es einen Notausgang aus dem Nirwana technischer Liebeseinflüsse:


 Mache Dich einfach unerreichbar. 


Aber Du wirst es hassen!


Gute Nacht Freunde------- euer triker

Gesundheit konnte ich mir nicht kaufen... Deshalb habe ich fast keine mehr...
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Olaf19 triker „Nachtgedanken zur modernen Kommunikation“
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Die moderne Kommunikation ist in der Tat bedeutend subtiler als die traditionelle. Sie geht verschlungene Wege, die speziell ältere Leute, die noch mit schlichteren Bordmitteln der Begegnung mit anderen Menschen groß gewordenen sind, einfach nicht mehr verstehen können. Dazu ein ganz einfaches Beispiel:

Wozu trifft sich ein altmodischer Mensch mit Freunden, Bekannten, Kollegen in einer Kneipe? Na ganz einfach - um mit ihnen zu reden, schnacken, quatschen, klönen, oder - um die hochgestochene Vokabel noch einmal ins Spiel zu bringen: mit ihnen zu kommunizieren.

Wozu aber trifft sich nun ein moderner Mensch mit Freunden, Bekannten, Kollegen in einer Kneipe? Die Antwort wird manchen verblüffen: um eben nicht mit ihnen zu kommunizieren. Als geeignetstes Instrument der effektiven Verhinderung zwischen-menschlicher Begegnung hat sich in den letzten Jahren das Mobiltelefon herauskristiallisiert.

Was bedeutet das? Finden bei unseren Kneipenbesuchern denn keine Gespräche mehr statt? Doch, finden sie. Man spricht sogar sehr viel. Nur eben nicht mehr miteinander. Man spricht mit Gott und der Welt, mit jedem Hans und Franz, der gerade nicht anwesend ist. Nur nicht mit seinem Gegenüber oder Nebenan. Und falls gerade kein Anruf hereinkommt, hackt man nervös mit dem Daumen auf der geplagten Handy-Tastaur herum - "also die SMS muß ich jetzt unbedingt mal eben beantworten", in der Erwartung freilich, daß deren Empfänger nur wenige Minuten später dem gleichen dringenden Bedürfnis nachgibt.

Hat sich mal jemand Gedanken gemacht, was das Wort "Restaurant" eigentlich bedeutet? Daß es von "restaurieren" kommt und demzufolge etwas zu tun haben sollte mit so natürlichen menschlichen Regungen wie sich entspannen, erholen, erquicken, mal alle viere von sich strecken und den lieben Gott einen guten Mann sein lasssen? Und daß dieser Ort dazu geeignet sein könnte, einmal in die lebendigen Gesichter von eben solchen Menschen zu schauen anstatt in aufgeregt flackernde Fernsehkisten, wohl beleuchtete LCD-Displays und TCO99-kompatibel strahlende Computer-Monitore?

Wer für so etwas keinen Sinn hat, sollte wenigstens Rücksicht nehmen auf diejenigen, die sich noch ein Fünkchen Kultur und Lebensart erhalten haben, anstatt anderen Restaurantbesuchern das Essen zu vermiesen mit seiner schwatzhaften, halbwichtigen Geschäftigkeit - wenn er schon nicht in der Lage ist, am eigenen Leibe den Verlust an Lebensqualität zu bemerken, den die totale Digitalisierung eines jeden Augenblicks unseres Lebens mit sich bringt.

Bei solchen Gelegenheiten möchte ich immer mit einem Eimer Heißwasser durchs Lokal gehen und diese geisttötenden Dudelkisten damit einsammeln. Macht mein Nachbar im Sommer immer mit den Myriaden von Nacktschnecken, die ihm den Garten kahlfressen. Manchmal geht es auch weniger radikal - so wie bei dem Geschäftsmann, der gerade dabei war, wegen dringenderer Verpflichtungen sein Essen kalt werden zu lassen. "Ach verdammt - jetzt ist mein Akku leer!" Da habe ich für einen Moment die Beherrschung verloren und quer durchs Restaurant gegrölt: GOTTSEIDANK!! Im ersten Augenblick war es mir ja noch peinlich - doch die wohlwollend-vergnügten Blicke meiner Mitgäste haben mich schnell eines besseren belehrt. Und unser Handlungsreisender hat auf die Weise noch etwas zu essen bekommen.

Es gibt übrigens einen wunderschönen, wenn auch nicht ganz billigen Trick, um doch noch einen ungestörten Klönschnack mit einem Kumpel halten zu können: Schicke ihn mit ein paar anderen in eine Kneipe. Rufe ihn dann auf seinem Handy an.

CU
Olaf

Die Welt ist ein Jammertal ohne Musik. Doch zum Glueck gab es Bach, Beethoven, Haendel und Goethe (Helge Schneider)
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