Langsam aber sicher kann ich es nicht mehr verheimlichen, muß den Tatsachen ins Auge sehen: ich bin ein Online-Junkie. Kein Tag, an dem ich nicht mindestens 20 Minuten Online gehe, ganz zu schweigen von den Email-Bergen, welche Schreiber jener tagtäglich produzieren. Ob es nun die Emailfreundin in den Staaten ist, oder das Girl, welches meine Gedichte vertont oder der Hamster meiner süßen Nachbarin, jeder wird mit Post bedacht. Komisch, innerhalb weniger Monate hat sich ein ganz erstaunlicher Bekanntenkreis gebildet, so groß, daß ich kaum noch etwas anderes mache. Meine Haut hat einen leicht blassen Ton angenommen, ich leide an akutem Sauerstoffmangel (das Fenster klemmt und raus komme ich nicht mehr) und die Freunde mögen nicht mehr. Aber wie kam es dazu?
Nun, alles fing damit an, daß ich in einem dieser Computerläden ein Modem erwarb. Nur mit so einem Gerät ist es möglich, mit der großen weiten Welt zu kommunizieren. Wow. Ich erstand also dieses edle Teil und installierte es flugs an meinem PC. Im Grunde wollte ich es ja nur haben, damit auch ich endlich zu den Glücklichen gehöre, die Faxe verschicken können. Die entsprechende Software lud sich fast von selbst auf meinen PC, und dieser stürzte fast von selbst ab. Nachdem ich den Fehler lokalisiert und ausgemerzt hatte (wer zählt die Schreie, kennt den Schmerz?), konnte es losgehen. Nach einem erneuten Versuch, die Treiber zu installieren, erblickte ich endlich das Setup. Aber ach, leider war ich DFÜ-mäßig völlig unbedarft. So hatte ich keinen Schimmer, warum vor meiner Telefaxnummer +49 stand. Auch ein Blick ins Handbuch verriet mir nichts. Was also blieb mir übrig, als es einfach mal hinzunehmen? Nichts, darum tat ich es. Nun durfte ich noch meinen Namen eingeben, und alles war für das erste Fax bereit. Fröhlich schrieb ich einen kleinen Brief, klickte das entsprechende Symbol an und wurde prompt aufgefordert, eine Nummer einzugeben. Erst jetzt fiel mir ein, daß ich niemanden mit einem Faxgerät kannte. Ratlos saß ich vor meinem PC und ärgerte mich. Klar, zum Faxen braucht man einen Faxpartner. Ein Solcher gehört nämlich nicht zum Lieferumfang eines Modems. Was also tut man? Nun, was man tut, weiß ich nicht, aber meine Wenigkeit griff zur nächsten Computerzeitschrift und suchte nach der Anzeige eines Erotik-Händlers (natürlich nur zu Testzwecken, würde so einen Schund nie bestellen, hüstel hüstel). Nach langem Blättern fand ich sie und - ja, da war auch eine Faxnummer angegeben. Also schrieb ich meinen Brief um (vormals: Hallo, ich hab ein Fax. Jetzt: Sehr geehrte Herren ...) und orderte einen Katalog besagter Firma. Dann schickte ich das Fax auf die Reise. Das ganze dauerte wenige Sekunden und ich hatte keine Ahnung, ob es nun geklappt hatte. Auch ein Blick auf den Bildschirm half mir wenig. Dort stand: Fax versendet --- Okay. Aber war es wirklich angekommen? Ich wußte es nicht. Zur Sicherheit schickte ich ein weiteres Fax, und noch eines und noch eines. Schluß machte ich erst, als ich selbst ein eines empfing. Zitternd vor Neugier wartete ich, bis die ganze Nachricht zu sehen war. Dort stand: Ist ja gut Sie Arsch, Sie bekommen den Katalog. Also hatte es offenbar funktioniert, eines der 25 Faxe hatte sein Ziel erreicht, hurra (erst als ich 25 Kataloge bekam, wußte ich Bescheid).
Nun saß ich wieder vor meinem PC und überlegte mir, daß ich mich doch in eine Mailbox einwählen könnte. Diese Dinger sind ganz nützliche Einrichtungen. Man kann dort Nachrichten hinterlassen, Software suchen und sich jederzeit den neusten Computervirus einfangen. Schöne neue Welt. Nach ein paar Minuten stand mein Entschluß fest. Ja ich würde es tun. Zu diesem Behufe wetzte ich ins nächste Kiosk und erwarb ein Magazin mit ganz vielen Boxnummern. Nachdem das entsprechende Icon angeklickt und die Nummer eingegeben war, ging es los. Erst vernahm ich ein melodisches Wählen, dann ein leises Klingeln und im nächsten Moment ein Geräusch, welches mir meine Zehennägel aufrollte, und zwar unverzüglich. Es klang wie ein verendender Vogel und signalisierte, daß ein Kontakt zustande gekommen war. Gleich darauf änderte sich das Monitorbild, diverse Buchstaben erschienen gefolgt von dem Satz, den ich an jenem Tag noch häufig sehen sollte: no carrier. Ich hatte keine Ahnung, was ein Träger im PC verloren hatte, erfuhr es aber aus dem Magazin. Dieserart erleuchtet versuchte ich eine neue Nummer, und hatte Erfolg. Nach dem bereits erwähnten Ton wurde ich freundlich begrüßt und durfte erst mal diverse Angaben machen: Name, Straße, Slipgröße, Telefonnummer, Geschlecht, Beruf, Vermögen, Sternzeichen, Alter, Haustier, Hobby, IQ usw. Nach dieser Prozedur wurde ich aufgeklärt, daß ich jetzt Stufe 2 erreicht hätte und nix zu zahlen bräuchte. Dafür dürfe ich fünf Minuten pro Tag in der Box sein und Mails verschicken. Für nur 30 DM im Monat aber würde sich diese Zeit vergrößern, und zwar proportional zu meiner Hutgröße. Ich beschloß, erst einmal die 5 Minuten zu nehmen (allein schon, weil ich nie Hüte trage) und schaute mich um. Aber irgendwie gefiel mir das alles nicht. Der Screen war schwarz, lief in der Dosbox und roch so angestaubt. Keine lustigen Icons, Farben oder Sound (Windows rules!). Darum meldete ich mich ab und wählte eine neue Nummer. Aber wohin ich auch kam, überall das Gleiche. Entweder fehlte der carrier, oder der Look machte mich nicht an. Bäh, igitt. Nach drei Stunden gab ich es auf. Nein, DFÜ war wohl nichts für mich. Mürrisch schaltete ich meine DOSe ab und fragte mich, ob sich der Kostenaufwand für das Modem wirklich gelohnt hatte.
Kurz darauf betätigte ich jedoch reumütig den Netzschalter, denn hatte ich nicht etwas wichtiges vergessen? Klar, auf der letzten Heft-CD war doch ein BTX-Decoder. Land in Sicht?! Diesmal ging mit der Installation alles glatt, ich wählte mich ein und erfuhr, daß ich nur sehr begrenzt in die faszinierende Welt des Datex-J (O-Ton) schnuppern durfte. Aber immerhin bestand die Möglichkeit, mich Online anzumelden, für nur 6 DM im Monat, ein paar Pfennige pro Minute und bla bla bla. Was tut ein unerfahrener Anwender in dieser Situation.? Er meldet sich an. Und so machte ich es denn auch. Ein paar Tage später bekam ich Post von der Post (sorry, Telekom). Diese teilte mir mit, daß ich ja gar keinen eigenen Telefonanschluß hätte und sie daher keinen Zugang ausstellen könnten. Bei Fragen solle ich sie anrufen. Tja, das stimmte, ich hatte in der Tat keinen eigenen Anschluß. Mein Telefon läuft über die Hausanlage meiner Arbeitsstelle. Also nahm ich den Hörer und wählte. Das nette Fräulein am anderen Ende hörte sich mein Wehklagen an und meinte, daß dies alles kein Problem sei. Für die läppische Summe von nur 50 DM pro Monat könne ich trotzdem meinen Zugang haben. Auf meine zaghafte Frage, wozu ich denn so viel Geld zahlen sollte meinte sie: "Verwaltungskosten". Unter diesen Umständen zog ich es vor, auch weiterhin ohne BTX zu leben, so wie bisher. Zwar erklärte sie noch, daß ich viele Vorteile durch Datex J hätte, z.B. Home-Banking. Oder Home-Banking. Und nicht zu vergessen das Home-Banking. Aber irgendwie ließ mich das alles kalt.
Meine nächste Überlegung galt einem sogenannten Majorplayer, etwa Compuserve. In meiner Schublade stapelten sich die CDs mit kostenlosem Zugang zu diesem System, aber ich schreckte davor zurück. Gerüchte, daß Leute ihren gesamten Monatslohn verloren, weil sie sich nicht mehr vom Dienst lösen konnten, ließen mich schaudern. Darum verbannte ich die entsprechenden CDs in den hintersten Winkel meines Schrankes, setzte ein schwarze Mamba drauf und ließ den Schrank gerichtlich versiegeln. Solcherart geschützt konnte doch nichts mehr schief gehen. Dachte ich.
Dann aber geschah es.
Wieder war es ein Magazin mit CD-ROM. Ein neuer Dienst bot sich hier in Deutschland an. Ich hatte es hier munkeln hören, dann dort und endlich war er da. Der Silberling erwischte mich in einer schwachen Stunde, denn statt ihn aus dem Fenster zu werfen, flog er in meinen PC. Und ab da war es um mich geschehen. Da waren die Icons, die Farben und der Sound. Gepriesen sei der Ewige. All die Möglichkeiten faszinierten mich, ich surfte auf dem Datenhighway (schönen Gruß, Herr Kohl) und fühlte mich frei. Dieser Zustand hielt an, bis - ja, bis ich meine Telefonrechnung bekam. Die Rettungsmaßnahmen waren erst nach 10 Minuten von Erfolg gekrönt, mein Herz schlug wieder und das klare Denken setzte ein (na ja, klar ist bei mir immer so eine Sache, auch ohne Herzinfarkt).
Diese Erfahrung nun lehrte mich, vorsichtiger zu sein. Außerdem überlegte ich mir, ein schnelleres Modem zu kaufen, eines mit doppelt soviel bips, pups oder wie auch immer. Dieses kostete erheblich mehr als das Erste, hatte aber auch seine Wirkung. Vorher konnte ich mich mit einer Geschwindigkeit von 34100 einwählen, nun waren es 34101. Und dieses eine machte sich bemerkbar, da bin ich ganz sicher (wirklich, ich schwöre). Dennoch erlebte meine Telefonrechnung eine weitere Steigerung, erreichte langsam astronomische Höhen (erst dachte ich, man hätte mir das Haushaltsdefizit in Rechnung gestellt, aber Theo war unschuldig. Ausnahmsweise).
So konnte es nicht mehr weiter gehen, Maßnahmen mußten getroffen werden. Ich rief eine professionelle Überwachungsfirma an, und ließ mein infames Modem unter Verschluß nehmen. Der erste Tag verlief gut, auch am zweiten ging es noch. Aber ab dann erlebte ich die Hölle. Meine Finger zitterten, ich bekam Schaum vor den Mund und stammelte nur noch: "Online, Online, Online". Die Wachleute sahen es und bekamen Angst. Freiwillig überreichten sie mir das Modem und ergriffen anschließend die Flucht. Ich konnte wieder loslegen. Und das tat ich auch, heftiger als vorher. Mann, wie sehr hatte ich dieses Gefühl vermißt. Es ist fast besser als Sex (obwohl auch dieser per Modem möglich ist, hechel hechel).
Inzwischen habe ich mich damit abgefunden, in naher Zukunft Bankrott zu gehen, aber ich habe ja mein Konto bei der Deutschen Bank, und über Peanuts redet man dort nicht.
Seit gestern habe ich eine neue Idee. Ich werde mir zwei Modems, zwei Computer und zwei Telefonanschlüsse holen. Dann kann ich mit mir selbst chatten, sollte mal gerade keiner da sein.
Kann es etwas schöneres geben, als Online zu gehen?