Unaufhaltsam ruecken die Zeiger der Uhr weiter. Mit einem leichten Ruck springt der kleine Zeiger auf die Sechs. Die ersten Sonnenstrahlen brechen durch das daemmrige Licht. Mit zitternden Haenden drueckt er seine letzte Camel im Aschenbecher aus. Er streckt sich und nimmt nochmals einen Schluck aus der Dose Tuborg. Mit geschickten Fingern sichert er das Programm und macht vorsichtshalber noch eine Sicherheitskopie auf Diskette. Dann steht er auf, verstaut die Diskette im Safe und schaltet den Rechner aus. Langsam geht er die Stufen zum Speicher hoch. Oben zieht er sich aus und legt sich in sein warmes Lager. Ein letzter Blick noch auf IHR Foto, dann schaltet er das Licht aus. "Morgen", denkt er, "morgen schreibe ich endlich das Programm fertig."
Als die Daemmrung sich uebers Land senkt, befindet sich der Yuppie wieder hinter dem Bildschirm. Doch es will nicht voran gehen. Im Programm ist ein versteckter Fehler, immer und immer wieder haengt es sich auf. Dabei muss die neue Version des Mailboxprogrammes heute noch fertig werden. Er hat seinen Usern versprochen, dass man sie morgen im Fido-Netz abrufen kann.
Drei Stunden sind vergangen, alles moegliche hat er propiert, doch das
Programm kommt nicht zum Laufen. Verzweifelt greift der Yuppie nach seinen spaerlichen Haaren, schliesst die Augen und stoehnt laut auf. Als er sie wieder oeffnet, steht neben ihm eine alte Frau, gebeugt, mit abgearbeiteten rissigen Haenden und tiefen Furchen im Gesicht. Sie schaut ihm mit einem Blick unendlicher Guete an. Ihm geht es dabei durch und durch. Er fuehlt sich voellig durchschaut und gleichzeitig auch tief geborgen. "Wer ... wer ... bist Du", stammelt er. "Ich bin die Liebe", entgegnete die Frau.
"Was? - Liebe!" rief der Yuppie aus, "die stelle ich mir aber anders vor. Liebe ist fuer mich ein jugendliche ueppige Person mit strahlender Schoenheit, roten Lippen und Blumen in den Haaren." "Du meinst die Lust", erwiderte die Frau ruhig. Ich bin heute gekommen, damit Du auch mich kennenlernst. Ich bin alt und doch unsterblich. Ich habe ueber Jahrtausende alles getragen was man mir auferlegt hat und wurde darueber gebeugt. Ich habe nie das meine gesucht, sondern stets fuer andere gearbeitet, meine rissigen Haende zeugen davon. Ich habe Ungerechtigkeit und viel Boeses erduldet. Du kannst es in meinem Antlitz lesen. Aber ich habe nie jemanden deswegen etwas angerechnet und bin keinem gegenueber bitter geworden - und die Hoffnung um Dich habe ich niemals aufgegeben. "
Nach einer Pause atemloser Stille fuhr die Liebe fort: "Gehe zur Zeile 12875 und korrigiere die Sprungadresse, sie fuehrt in eine falsche Unterroutine. Verbluefft liess der Yuppie seine Finger ueber die Tasten gleiten. Dann fuhr er mit seiner Hand an den Kopf: "Ach! Natuerlich, da ist es, dass ich da nicht frueher darauf gekommen bin." Schnell hatte er die Adresse richtig gestellt. Als er sich umwandte um sich bei der Frau zu bedanken, war sie spurlos verschwunden.
Eine grosse Ruhe und ein tiefer Friede erfasste ihn. Die Restarbeiten am Programm gingen fast wie von selbst. Das Programm lief nun tadellos. Nachdem er seine neue Programmversion im Netzcomputer zum Requesten eingespielt hatte, legte er sich wieder auf sein Lager. Aber er konnte lange nicht einschlafen. Immer wieder musste er an die Begegnung denken und zum erstenmal daemmerte ihm, dass auch bei ihm die "Sprungadresse" nicht stimmte. Er hatte die Liebe mit der Lust verwechselt. Nun war ihm klar, warum manches in seinem Leben nicht lief wie es sollte.
PS: Auch ich hatte dieses Jahr einige "Sprungadressen" bei mir
geändert, und werde die nächsten Tage das schönste Weihnachtsfest
seit langem feiern.
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Freddy, mach weiter so!
Frohe Weihnachten von Loopi©