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Cyberbook...

FreddyK. / 0 Antworten / Flachansicht Nickles

Cyberbook

Harry betrachtete das BUCH mit regem Interesse. Es war ein sehr altes Buch, das in eine dicke, ledernen Huelle gebunden war. Sein Anblick erregte Harry und er konnte es immer noch nicht fassen - endlich hatte er sein eigenes echtes BUCH. Ganz fuer sich allein. Seine Hand strich
zaertlich ueber die zahlreichen Erhebungen und Verzierungen des Umschlags. Sein Herz schlug vor Erregung immer schneller - jetzt - endlich kam der grosse Augenblick! Er oeffnete das BUCH.
Harry roch den Atem der Literatur - der aufgewirbelte Staub kitzelte seine Nase. Das Gefuehlserlebnis BUCH faszinierte Harry vollstaendig.
Wie konnte ich mich nur jemals fuer Computer begeistern? fragte er sich
nun. Computer waren kalt und unpersoenlich. Die Literatur, die er mittels seines Computers gelesen hatte, verlor dadurch an ihrer Qualitaet. Nicht
nur der Inhalt eines Werkes ist von Bedeutung, sinnierte Harry, sondern auch seine Vermittlung! Goethes Faust als DOS-Datei! Welch abstossende Idee! Harry schuettelte, benommen von dieser graesslichen Vorstellung, den Kopf.
Wieviel wertvoller war da doch ein BUCH! Mehr als eine Kerze brauchte man fuer das Erlebnis BUCH nicht aufzuwenden. Und auch das nur nachts. Ein Computer war abhaengig. Er frass Strom, man musste seine Bedienung erst umstaendlich erlernen. Ein Buch erklaerte sich dagegen von selbst. Seiten sind halt zum umblaettern da! Aber mit welcher Taste bringt man einen Textbetrachter zum weiterblaettern?
In Buechern stecken Erinnerungen - Erinnerungen an viele schoene Stunden. Wenn man mit seinen Fingern an seinen Buechern im Regal vorbeistreicht, dann kann man sie spueren. Sie durchstroemen einen, sind allgegenwaertig. Was ist dagegen schon eine Datei? Sie ist so unpersoenlich, kann so leicht ausradiert werden. Und wo sind die Unterstreichungen, die Hervorhebungen?
Sicherlich gibt es auch Vorteile - oberflaechlich betrachtet jedenfalls. Wenn man etwas ganz Bestimmtes sucht, dann waehlt man ein Schluesselwort und laesst suchen. "Der kleine Prinz" als CD-ROM - welch Fortschritt! dachte Harry zynisch. Man gibt nur noch das Schluesselwort ein, z.B. "Liebe", und der Computer zeigt sofort alle Passagen, in denen dieses eine Wort vorkommt. So verkommt dieses Buch zu einer oberflaechlichen Stichwortsammlung. Und wo bleibt das Gesamterlebnis? Vor allem, wo bleibt das tiefere Verstaendnis, wenn man nicht selbst suchen muss?
Selbst suchen, dachte Harry, ja, das ist sehr wichtig, diese Funktion darf einem nicht abgenommen werden. Wenn wir erst einmal aufhoeren zu suchen, dann werden wir auch nichts mehr finden. Dann haben wir uns selbst verloren.
Harry blaetterte eine Seite weiter und seine Augen wanderten begeistert
ueber die kunstvoll verschnoerkelte Schrift. Er strich sanft ueber sie und spuerte leichte Erhebungen. Er verspuerte den starken Impuls, das BUCH an sich zu druecken und zu umarmen - so gluecklich war er.
Dann begann er zu lesen. Er lass und lass und lass. Er konnte einfach nicht mehr aufhoeren. Die Handlung faszinierte ihn, aber das Erlebnis, ein echtes BUCH zu lesen, uebertrumpfte alles.
Schliesslich, nach vielen gluecklichen Stunden, endete das Buch. Sanft
strichen seine Finger ueber den Schriftzug "Ende". Mit einem leicht bedauerndem, aber doch befriedigtem Gefuehl schloss er es wieder. Dann drueckte er es spontan an sich und wiegte es wie ein Baby. Er war so gluecklich.
"Liebling!" rief eine zaertliche Stimme. "Liebling, das Essen ist fertig!"
"Ja, Schatz!" antwortete Harry, "ich komme gleich!"
Er drueckte das Buch noch ein letztes Mal fest an sich und stellte es dann
wieder in sein Regal. Dort warteten noch so viele Buecher darauf, gelesen zu werden. Er umfasste seine Buecher mit seinen Armen. Dann strich er zaertlich an ihren Buchruecken entlang und studierte begeistert die Titel. Welch schoene Zeit ihm bevorstand!
"Stop!" sagte er und es wurde dunkel um ihn herum. Leicht benommen fummelte er an seinem Cyberspace-Helm herum, bis er ihn endlich abgenommen
hatte. Dann schaltete er seinen Rechner ganz aus.
In der Kueche servierte ihm seine Frau dann ein dampfendes, neues Mikrowellengericht.
"Wie war\'s?" fragte sie neugierig.
"Ueberwaeltigend!" antwortete Harry begeistert. "Die haben nicht zu viel versprochen, das Update hat sich wirklich gelohnt! Wie jetzt unter dem neuen Betriebssystem der Dateimanager funktioniert, ist wahrhaftig eine Revolution! Ich kauf\' mir sofort die Vollversion!"
Harry atmete tief durch und betrachtete nun sein Essen. Es war das typisch klumpige und farblose Mikrowellenzeug, das er immer bekam.
"Irgendwann", sagte er, "werden wir auch beim Essen etwas aendern muessen."

Dieser Beitrag wurde unter Debian GNU/Linux 7.1 Wheezy verbrochen. https://de.wikipedia.org/wiki/Vorratsdatenspeicherung
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