Es war einmal, oder ist noch, wer vermag das zu sagen, in einem Hochofen ein kleines Land mit Namen Flammern, dessen Bewohner lauter Flammen waren. Dort lebten grosse und kleine, dicke und duenne, blaue, rote und gelbe Flammen, und obwohl sie so unterschiedlich aussahen, hatten sie doch eines Gemeinsam: sie alle waren heiss. Und so war es natuerlich auch in diesem Land sehr heiss, und auch sehr hell. So hell war es, dass man dort vor lauter Helligkeit nicht richtig zu schlafen vermochte, und so heiss, dass ausser den Flammen dort nichts sein konnte.
Einer der Bewohner dieses Landes war die kleine Flamme Fuerio. Sie war noch sehr klein, denn sie brannte erst seit recht kurzer Zeit. Ausserdem war sie staendig muede. Das war sehr ungewoehnlich fuer eine Flamme, denn normalerweise brennen Flammen unermuedlich, bis ihnen die Nahrung ausgeht, und in Flammern gab es immer reichlich Nahrung Nahrung, und so brannten alle unermuedlich, bis auf den kleinen Fuerio.
"Fuerio", sagte sein Vater des Oefteren, "Du kannst hier nicht schlafen! Wenn Du schlafen willst, dann musst Du Flammern verlassen, denn hier ist es zu hell und zu heiss. Hier kannst Du nur brennen." Aber Fuerio war viel zu muede, um Flammern zu verlassen. Ausserdem hatte er ja so gar keine Ahnung, wie er das anstellen sollte, schliesslich war er hier entzuendet worden, und hatte seitdem keine groessere Entfernung zurueckgelegt, weil ihm das immer viel zu anstrengend gewesen war.
Eines Tages kam sein Onkel Brenzel zu Besuch. Onkel Brenzel war immer sehr gern gesehen, denn er hatte schon weite Reisen durch Flammern unternommen und konnte so manche lustige Geschichte erzaehlen. Die Geschichte, die er diesmal erzaehlte, war allerdings sehr seltsam. Er berichtete von einem Loch in der aeusseren Huelle von Flammern, durch das diese seltsamen schwarzen und kalten Dinger nach Flammern hereingeflogen kamen, von denen sie hier alle lebten. Und wenn einige von diesen schwarzen Dingern nach Flammern hereingekommen waren, dann schloss sich das Loch wieder. Und dass einige Flammen nach draussen gesprungen seien, habe er gesehen. Seltsamerweise hatte Fuerio waehrend dieser Geschichte kaum gegaehnt, sondern im Gegenteil sehr gespannt den Erzaehlungen seines Onkels zugehoert. Also gab es ein Draussen, und wenn sein Vater recht hatte, konnte man dort schlafen. Ach, zu schlafen, das war Fuerios groesster Wunsch.
Als sein Onkel nach einiger Zeit Vorbereitungen traf, sich wieder auf den Weg zu einem weiteren Abenteuer zu machen, ging Fuerio zu ihm und bat ihn, mit ihm zu dem Loch zu brennen. Onkel Brenzel lehnte das zunaechst ab, doch als Fuerio fast eine halbe Stunde lang gebettelt und gefleht hatte, ohne dabei ein einziges Mal zu gaehnen, gab er sich schliesslich geschlagen. Er bat sich jedoch aus, dass Fuerios Eltern damit einverstanden sein sollten. Also ging Fuerio zu seinen Eltern, und wieder bettelte und flehte er, dass sie ihn gehen lassen sollten, und schliesslich sagte sein Vater zu seiner Mutter, dass es ihm wahrscheinlich gut tun wuerde, ein wenig mit Onkel Brenzel in Flammern herumzuziehen. Als Fuerio das hoerte, strahlte er gleich ein wenig heller, doch seine Mutter nahm einen leichten Braunton an. Aber Fuerio war so froh, mit Onkel Brenzel brennen zu duerfen, dass er das gar nicht wahrnahm.
Gleich am naechsten Tag machten sich Fuerio und Onkel Brenzel auf den Weg,
und obwohl Fuerio sehr aufgeregt war, wurde er doch schon wieder muede. Kaum waren sie ein paar hundert Kokel weit gekommen, da wollte er schon eine Pause einlegen. Aber Onkel Brenzel war nicht sehr nachgiebig, wenn es darum ging, einen Ort zu erreichen, zu dem er unterwegs war. Er sagte: "Wenn Du eine Pause machen willst, dann mach eine Pause. Ich werde aber weitergehen, und Du musst dann sehen, wie Du mich einholst". Und da Fuerio sich allein sicher verlaufen wuerde, schleppte er sich widerwillig seinem Onkel hinterher.
Onkel Brenzel hatte vor der Abreise noch mir Fuerios Vater gesprochen, und dieser hatte ihm gesagt, dass er Fuerio ruhig ein wenig fordern solle, vielleicht waere das gut gegen die staendige Muedigkeit der kleinen Flamme. Aber davon wusste Fuerio nichts, und bald fing er an, vor sich hinzuschimpfen. "Haette ich mich bloss nie darauf eingelassen", murmelte er leise, darauf bedacht, dass Onkel Brenzel ihn nicht hoeren konnte. "Ich koennte jetzt schoen zu Hause liegen und faulenzen". Aber da er keine andere Wahl hatte, brannte er murmelnd und gaehnend hinter seinem Onkel her.
Endlich am dritten Tag, als er vor lauter Muedigkeit schon ganz blau war, blieb Onkel Brenzel stehen, und drehte sich zu ihm um. "Hier ist es", sagte er, "und dort oben wird das Loch aufgehen. Wir muessen hier darauf warten." Fuerio liess sich dankbar niedersinken, und gaehnte erst einmal herzhaft. Sein Vater hatte recht, hier war es viel zu hell zum Schlafen, und das, wo er doch so muede war. Also blieb er wach und wartete zusammen mit seinem Onkel darauf, dass das Loch sich oeffnen wuerde. Den Plan, Flammern durch das Loch zu verlassen, hatte er schon vor vielen Kokeln aufgegeben, jetzt sehnte er das Ereignis nur noch herbei, weil Onkel Brenzel ihn danach nach Hause bringen wuerde, und er sich dort erst einmal viele Tage lang von dieser Strapaze erholen koennte.
Und dann passierte es. Weit ueber ihnen oeffnete sich ein Loch in eine andere Welt. Hinter diesem Loch sah es dunkel aus, und fuer einen Augenblick strich ein Hauch kuehler Luft ueber Fuerio und Brenzel, die beide fasziniert zu dem Loch starrten. Einen Augenblick spaeter kamen sie hereingeflogen, diese kalten schwarzen Dinger, von denen sich ganz Flammern ernaehrte, schlugen auf den Boden auf und versprengten die dort befindlichen Flammen. Und dann sah Fuerio auch die anderen, die Flammen, die auf das Loch zustrebten, um nach draussen zu gelangen, und noch bevor Onkel Brenzel ihn aufhalten konnte, war auch Fuerio unterwegs zu dem Loch.
Brenzel brauchte einen Augenblick, um zu begreifen, wohin Fuerio unterwegs war, und kaum war es ihm klargeworden, da machte er sich auch schon auf, um Fuerio zurueckzuholen. Aber dieser hatte das Loch schon bald erreicht, und glitt ueber den Rand hinweg nach draussen, und noch bevor Brenzel auch nur die Haelfte der Strecke zum Loch zurueckgelegt hatte, schloss sich das Loch wieder, und Fuerio war weg.
Draussen war es wunderbar, angenehm kuehl und dunkel. Fuerio schwebte ein wenig dahin, als ihm klarwurde, dass er schrumpfte. Natuerlich, er hatte keine Nahrung, und mit dem Schrumpfen kam die Muedigkeit wieder, und staerker als jemals vorher. Aber Fuerio wollte noch nicht schlafen, er wollte sich die Wunder dieser neuen Welt anschauen. Und eben bevor er voellig erlosch, traf er auf etwas Weiches, von dem er sofort zu essen anfing. Noch nie hatte er solche Nahrung gehabt, diese war hauchduenn, und sehr hell, mit lauter dunklen Punkten und Strichen darauf, und sie war so einfach zu verzehren, dass er immer mehr und mehr nahm, und dabei immer groesser und wacher wurde. Er wuchs und wuchs, und in wenigen Augenblicken war er groesser, als seine Eltern oder sein Onkel es jemals sein wuerden.
Doch er musste feststellen, dass diese Nahrung nicht nur leicht aufzunehmen war, sondern auch viel schneller schwand als seine uebliche Nahrung. Kaum hatte er sich ueber seine Groesse freuen koennen, da war sie schon aufgezehrt, und er schrumpfte wieder, noch schneller als er gewachsen war, und bald war er nur noch ein kleines, blaues, sehr muedes Flaemmchen am Rande einer verbrannten Zeitung, traurig darueber, dass sich der sehnlichste Wunsch seines Lebens in Flammern hier draussen so schnell erfuellt hatte. Etwas mehr Zeit haette er hier gern gehabt. Doch die Muedigkeit erfuellte ihn so schnell, dass er sich darueber kaum Gedanken machen konnte, und einen Augenblick spaeter war er eingeschlafen, und von der Zeitung stieg nur noch eine duenne Rauchfahne auf.
In Flammern, direkt unter dem Loch, das in die andere Welt fuehrte, sass Onkel Brenzel und wartete darauf, dass sich das Loch wieder oeffnete. Er war fest entschlossen, hier auf Fuerio zu warten, und wenn es bis in alle Ewigkeit dauern sollte.