Abgegrast
Neulich rief mich mein Freund Erwin aus der Untersuchungshaft an. Er hatte den Schäferposten in der ehemaligen LPG "Rote Rübe" Umstrukterode angenommen und diese Vertrauensstellung schamlos dazu missbraucht, die Frauenwelt des Dorfes illegal mit Stoff zu versorgen. Nein, kein schwarzer Afghane aus Holland, sondern schlichte Wolle: Näh-, Stopf-und Stickgarn. Seit einigen Monaten ist auf Wolle eine Urheberabgabe von 2,75€ pro 100gr fällig, die hat Erwin unterschlagen.
Stopfgarn und Urheberrecht? Richtig. Schliesslich können moderne digitale Nähmaschinen weit mehr, als bloss Nähte ziehen. Sie können Namenszüge sticken, also auch urheberrechtlich geschützte Texte wiedergeben. Ja, sie können sogar ganze Digitalfotos mit Nadel und Zwirn zu Stoff bringen, also richtige Kunstwerke reproduzieren. Und selbstverständlich sind auch all die im Web angebotenen Stickmuster urheberrechtlich geschützt. Deshalb muss man auf diese Maschinen eine Urheberabgabe zahlen. Dafür sorgt die mächtige Verwertungsgesellschaft VG-Stich, ein rechtsfähiger Verein kraft Verleihung.
Eine kleine Abgabe auf teure Maschinen ginge ja noch in Ordnung, finden Sie. Aber auf Garn? Das kostet nur ein paar Euro pro 100Gramm und nun sollen stolze 2,75€ Abgabe da draufkommen, auch wenn Sie damit nur Ihre Socken stopfen? Ja, nicht nur aufs Garn, auch auf die Nadeln und den Stoff, auch auf die Speichermedien für die digitalen Vorlagen, etwa DVD-und CD-Rohlinge, und auf die zugehörigen Laufwerke, Brenner und Festplatten. Natürlich werden Abgaben noch mal extra auf den !PC als Ganzes! fällig, auf dem Sie Ihre Stickmuster bearbeiten, und für alle Eingabegeräte wie Maus und Tastatur. Scanner und Digitalkameras müssen wir sowieso bezahlen. Nicht zu vergessen der I-Net-Zugang, das Herzstück jedweder Kopierwerkstatt - dreifünfunddreissig pro Stunde.
Nun möchte die Initiative der Stopfgarn-Industrie "Stiche gegen Urheberabgaben" die pauschalen Urheberabgaben am liebsten ganz abschaffen. Wir, also die Anwender, sollen uns per DRM selbst drum kümmern. Aber wir möchten die Möglichkeiten des erlaubten privaten Kopierens gern mit der neuen Technik weiter nutzen und uns dabei nicht mit einer restriktiven Lizenzierung herumschlagen müssen. Also doch lieber eine pauschale Abgabe. Aber nicht so, dass unser heimisches Datenverarbeitungssystem an jeder Schraube mit einer Abgabe belegt wird. Schliesslich haben wir Menschen auch nur ein Augenpaar zum Sehen und einen Satz Ohren zum Hören. Wenn ich also für den Scanner bezahlt habe, warum dann noch für den Drucker, der den Text wiedergibt, die Festplatte, auf die er zwischengespeichert wird, und und und.....?
Nach dieser Logik müsste in unserem Dorf nicht nur der Schäfer eine Abgabe zahlen, sondern auch der Grasbauer. Denn das Gras fressen die Schafe, die Schafe geben Wolle, aus der Wolle macht man das Garn und mit dem Garn werden urheberrechtlich geschützte Werke in Stoff gestickt. Ich glaub', ich hör' da was wachsen.
von Tim Gerber, Editorial aus C´T Nr10 3.5.2004
So, hab' ich jetzt auch schon gegen das Urheberrecht verstossen und eine kriminelle Handlung vollzogen, weil ich einfach einen fremden (?gestohlenen?) Text frech in einem öffentlichen Forum wiedergebe???
Ich finde er beschreibt ironisch die heutige Situation recht gut.
Grüsse, ThomasS
ThomasS
Aragorn75
Olaf19
